Begegnungen am Niger

 

Auszug aus unserem Reisebericht aus der " Motorrad" 05/2008

 

Et le froid?“ fragt uns der Campingplatzbesitzer in Timbuktu. Och, wir kommen mit der nächtlichen Kälte ganz gut klar. Für ihn sind 20 Grad plus tiefster Winter.

Nach einer dreiwöchigen Frachtschiffreise von Antwerpen nach Lomé/Togo sind wir froh, endlich auf den Motorrädern zu sitzen. wir brechen auf nach Norden. Über Benini, Niger, Mali, Senegal, Mauretanien und Marokko wollen wir wieder nach Europa.

 

Gao ist die erste Stadt, die wir in Mali erreichen. Heute wichtiges Handelszentrum, vor 500 Jahren Hauptstadt des damals größten afrikanischen Reichs. Wir landen in einem lausigen Hotel mitten im Marktviertel, um uns herum ein Hexenkessel aus Menschen, Ständen, Garküchen, Eselskarren und Mopeds. Doch beim Bummel durch die Gassen ist die Unterkunft bald vergessen, und wir genießen die geschäftige Atmosphäre einer afrikanischen Stadt. Nach zwei Tagen sind wir stadtbekannt, eine Marktfrau fragt, ob ich die Frau „avec le grand Brumm Brumm“ sei. Ja, genau!

Bevor wir weiterfahren, heißt es noch schnell Geld wechseln auf der Bank. Aber schnell geht hier nichts. Volle Wartesitzreihen wie im Kino erwarten uns. Wir ziehen Wartemarke Nummer 95, dran ist gerade die 7. Rettung bietet der Lebensmittelhändler gleich nebenan. Der hat zwar kaum Waren, tauscht aber Franc CFA gegen Euro. Dann geht es westlich auf der einsamen Hauptroute weiter durch den dürren Sahel. Ab und an staubt ein LKW vorbei, private Fahrzeuge gibt es in Mali praktisch nicht. Plötzlich schält sich ein riesiger Tafelberg aus dem Dunst. Die Hombori-Berge, bis zu 1.100m steigen sie in den Himmel. Hitze und Müdigkeit sind sofort vergessen. Vor einer der Felswände schlagen wir unser Nachtlager auf.

 

Am nächsten Tag rütteln wir über Wellblech der groben Sorte in Richtung Timbuktu. Wir überqueren den Niger, dann folgt ein Stück Teerstraße. An der ersten Kreuzung der Stadt weicht der Asphalt abrupt tiefem Sand. Willkommen in der Wüste. Gemeinsam mit Fahrrädern, Mofas und Kopflastenträgerinnen dringen wir ins legendäre Timbuktu vor. Einst Wirtschaftsmetropole, Universitätsstadt und kulturelles Zentrum, heute eine beschauliche Kleinstadt mit viel ausländischer Integration. Die große Djinger-Ber-Moschee wurde mit US-Finanzhilfe restauriert, und in einem der verzierten Bürgerhäuser ist ein Museum über den deutschen Afrikaforscher Heinrich Barth untergebracht. Bibliotheken zeigen Manuskripte aus der Blütezeit Timbuktus, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Die Themen: Mathematik, Medizin, Chemie.

 

Irgendwie müssen wir über das riesige Niger-Binnendelta gelangen, das sich südwestlich von Timbuktu breit und mächtig ausdehnt. „Pas de problème“, versichern uns die Einheimischen in Niafounké und schreiben fünf Orte auf einen Zettel, wo Fähren uns weiterbringen sollen. Ratlos schauen wir den Zettel an: Damit sollen wir durch das Labyrinth der zahllosen Flussarme finden? Bereits wenige Kilometer hinter Niafounké wissen wir nicht mehr weiter. Welcher der vielen Eselskarrenpfade ist wohl der richtige? Karte und GPS helfen nicht weiter. In jedem Ort fragen wir nach den Namen auf unserem Zettel, doch kaum jemand spricht französisch, denn Bambara ist in diesem abgelegenen Gebiet viel verbreiteter als die Amtssprache der einstigen Kolonialherren.

 

Mühsam fragen wir uns durch und fahren – mal auf sandigen Wegen durch wunderschöne Palmenhaine, mal über Schwemmebenen – von Fähre zu Fähre. Kleine Boote, die als Entwicklungshilfeprojekt von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit gespendet wurden und meist mit Muskelkraft betrieben werden. Maximal zwei Motorräder, zwei Eselskarren und dacht Esel passen drauf, Carsten betätigt sich als Hilfsfährmann, was für Belustigung unter den Einheimischen und einen Rabatt beim Fährpreis sorgt.

 

Nach fünf Stunden, fünf Flussquerungen und sechzig Kilometern sind wir durch. Mit einem letzten Rest Brot, Keksen und Trinkwasser, das in den schwarzen Packtaschen kurz vor dem Siedepunkt steht, machen wir Mittagspause. Dann kommt der sechste Flussarm. Und hier gibt es keine Fähre. Die Piroge, die im Schilf dümpelt, sieht nicht so aus, als würde sie je ein Motorrad transportieren. Unschlüssig peilen wir die Lage. Weit ist es ja nicht ans andere Ufer, aber wie ist wohl der Untergrund…? Schnell versammelt sich die Dorfjugend, um dem Schauspiel beizuwohnen, und nimmt johlend Anteil, als wir die Bikes durch die Furt schieben. Wasser aus den Stiefeln leeren, weiter.

 

Wenig später sehen wir eine wunderschöne kleine Moschee und halten an. Fast jeder Ort im Nigerbinnendelta hat solch eine Moschee in traditioneller sudanesischer Lehmbauweise. Überrascht und freudig begrüßen uns die Leute, und wir dürfen das Gebäude sogar von innen besichtigen. Mit nassen Socken patschen wir über den Lehmboden, während draußen die Motorräder in einem schwarzbunten Menschenknäuel kaum noch auszumachen sind. Alt und Jung sind herbeigeeilt, kein Dorfbewohner will sich solch eine Attraktion entgehen lassen. Schweren Herzens reißen wir uns los, denn vor uns liegen noch viele Kilometer bis zu unserem Etappenzieh. Sévaré.

 

Von Sévaré machen wir mit einem Sammeltaxi einen Ausflug zur großen Nachbarstadt Mopti. Der Peugeot 504 von 1974 fährt erst ab, wenn zehn Leute drinsitzen. Seine besten Tage hat er hinter sich, Stoßdämpfer existieren eigentlich nicht mehr, die Gänge rasten nur noch unter lautem Protest ein. Zudem wabern die meisten Abgase ins Wageninnere, so dass die hintere Sitzreihe langsam im blauen Dunst verschwindet. Schließlich erreichen wir Mopti – mehr oder minder benebelt, aber unversehrt. In Mopti liegt der wichtigste Niger-Binnenhafen Malis. Arbeiter beladen Boote mit Zementsäcken aus Burkina Faso oder Salzplatten aus Taoudenni, nebenan werden Pirogen gezimmert. Die Nägel dazu spenden recycelte Ölfässer. Nur eine von vielen Möglichkeiten, was aus einem Ölfass werden kann. Das wenige vorhandene Material kreativ einsetzen – das ist die große Herausforderung armer Länder. Mali ist das drittärmste Land der Welt.

 

Südöstlich von Sévaré liegt das Dogonland. Ein sandiger und von Eselskarren verspurter Weg dorthin führt an einer bis zu 250 Meter hohen Felsabbruchkante, den Falaises, entlangt. Oben kleben die alten Häuser und Getreidespeicher des Dogon-Volkes wie Schwalbennester in den Felsen. Holzschnitzereien auf Türen, Säulen und Masken zeigen hochentwickelte, jahrhundertealte Handwerkskunst. Über eine große, vor die Felsen gewehte Düne gelangen wir auf das Felsplateau und in den Ort Bandiagara.

 

Von dort zeigt die Michelin-Karte eine Piste nach Westen. Kann ja nicht so schwer zu finden sein, denken wir, und machen uns auf den Weg. Plötzlich ist die Piste aber weg, und wir hoppeln über einen Hirseacker. Leider kein Einzelfall, immer wieder verlieren sich die Pisten im Nichts. Sind wir hier richtig? Erkundigungen werden von Passanten mit vagen Handbewegungen in verschiedene Richtungen beantwortet. Na gut. Das GPS zeigt, dass wir im Kreis gefahren sind. Mehr oder weniger zufällig landen wir irgendwann auf der Teerstraße nach Djenné.

 

Dort ist am folgenden Tag der große Markt. Schon am Vortag kommen viele Händler zu Fuß oder mit Pferdekarren von weit her und bauen früh am nächsten Morgen ihre Stände auf. Gegen Mittag ist das Markttreiben dann in vollem Gange, die Stadt platzt aus allen Nähten. Überall bieten auf dem Boden sitzende Frauen ihre Waren feil. Zwischen Obst, Gemüse, Gewürzen, Kalebassen, Stoffen, Haushaltswaren, Brennholz und Garküchen kann man kaum mehr einen Fuß vor den anderen setzen. Alle haben sich mit ihren schönsten Kleidern herausgeputzt, der Markt ist schließlich ein gesellschaftliches Ereignis. Sehen und Gesehenwerden. Am Abend ist das Spektakel vorüber, Staub und Katerstimmung liegen in der Luft, Müll wird überall in kleinen Häufchen verbrannt. Die Menschen machen sich auf den Heimweg, viele Pferdefuhrwerke überholen wir noch am nächsten Tag.

 

 

Unser nächstes Ziel ist die Hauptstadt Malis. Afrikanische Großstädte sind stressig, und Bamako macht da keine Ausnahme. Es ist laut, voll und hektisch, hupende Mopeds und Taxis drängen überall, Händler preisen lautstark ihre Waren an. Wenn der Muezzin allerdings zum Freitagsgebet ruft, verebbt schlagartig der Lärm. Gebetsteppiche werden ausgerollt und ganze Straßenzüge für die Gläubigen gesperrt, die Stadt scheint innezuhalten. Ist das Gebet vorüber, brodelt das Leben unvermittelt weiter.

 

Wir bleiben auf Westkurs, rütteln weite Strecken über staubige Baustellenpisten. Mobilfunkmasten und Werbeschilder verschwinden zusehends, Rundhüttendörfer treten an ihre Stelle. „Rallye Rallye“ rufen die Kinder in jedem Ort. Die Grenze zum Senegal ist nicht weit, und wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie der Dakar-Rallye-Tross durch diese ursprünglichen Dörfer gefegt ist.

 

In Manantali versorgen wir uns mit Benzin, Wasser, Brot und einem typischen Mittagessen: Reis mit Soße. Gemeinsam mit den Dorfbewohnern essen wir auf einer wackeligen Holzbank unterm Strohdach. Die Afrikaner freuen sich über Fremde, stellen Fragen über Fragen.

 

Ab Koundian führ nur noch ein schmaler Pfad durch das Grenzgebirge, über grobe Steine, Felsplatten und durch ausgewaschene Flussbetten. Noch wenige Kilometer, und wir sind am Grenzfluss Faleme, wo die Kinder nur auf uns gewartet zu haben scheinen. Fette Steine machen es unmöglich, durch die Furt zu fahren. Also wieder schieben. Alle wollen mithelfen, drängen um die Maschine, Carsten hat Mühe, in dem Tumult das Motorrad aufrecht zu halten. Unter ohrenbetäubendem Geschrei bewegt sich der kunterbunte Haufen zum anderen Ufer. Tropfnass strecken wir dem fast blinden Grenzer unsere Pässe hin.

 

 

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